S-Bahn  Halle - Eröffnung 1973

Artikel "
Die neue Hallenser S-Bahn " von Siegfried Kaufmann aus der Zeitschrift "der modelleisenbahner 9/73", S. 257-259, mit freundlicher Genehmigung des Verlags.


Das über 1000jährige Halle Saale. Bezirkshauptstädt des Chemiebezirks der DDR mit großindustriellen Ballungszentren und ausgedehnten Braunkohlentagebauen rund um die Stadt der früheren Pfänner und Salzwirker und besonders der chemischen Industrie zwischen Halle und Merseburg sowie südlich von Merseburg (Leuna), stand im Hinblick auf seine städtebauliche Rekonstruktion vor äußerst schwierigen verkehrstechnischen Problemen. Das betraf einmal neue Konzeptionen für den Straßenverkehr (Nord-Süd- und Ost-West-Trasse, Knoten am Thälmannplatz und zum anderen die Schaffung von S-Bahnverbindungen für Halle selbst und mehr noch für die wachsende sozialistische Arbeiterwohnstadt Halle-Neustadt sowie entsprechender neuer Verkehrswege zu den beiden Chemiegiganten. Dort, wo sich noch vor wenigen Jahren das alte Passendorf befand, ferner nur Bruchfeld und einige ausgebeutete Tongruben vorhanden waren, ein ehemaliger Flugplatz der Sportflieger lag, wurde eines der gewaltigsten Wohnstadt-Neubauvorhaben der DDR in die Tat umgesetzt: Halle-Neustadt. Und es war von vornherein klar, daß das zu erwartende enorme Vekehrsaufkommen keineswegs allein durch Buslinien bewältigt werden konnte. Neue Straßenbahntrassen standen aus verschiedenen Gründen nicht zur Debatte. Erfolgversprechend konnten deshalb nur Schienenverkehrsmittel auf der Basis echter Schnellbahnen sein, unter Ausnutzung schon gegebener bzw. mit geringstem ökonomischem Aufwand zu schaffender Möglichkeiten, die eine komplexe Lösung der Aufgaben zuließen.

Bf Dölau

Die S-Bahn Halle
Im Gegensatz zu anderen bereits bestehenden S-Bahn-Netzen in unserer Republik, dem historisch gewachsenen in Berlin oder den gänzlich neuen, wie Leipzig oder Rostock weist das hallesche einige spezielle, bahntechnisch interessante Merkmale auf. Die gesamte Streckenführung ist kein Ring. sondern ein „U"; sie setzt sich teils aus mitbenutzten Fernbahn-Streckenabschnitten, aus einem mitbenutzten Fernbahnkörper (eigenes S-Bahngleis), aus direkten S-Bahn-Neubautrassen und aus einem rekonstruierten (modernisierten) Streckenabschnitt einer ehemaligen normalspurigen Kleinbahn zusammen.

Linienführung
Die S-Bahn beginnt im Bf Halle-Dölau. Nächster Haltepunkt ist Heidebahnhof. Anfang der Durchquerung des Stadtforstes Halle, der „Dölauer Heide" -- eines landschaftlich reizvollen, stark hügeligen Terrains. Der höchste Punkt der Strecke befindet sich am Bahnübergang der Straße Halle - Salzmünde -Klostermansfeld, die An- sowie vor allem die Abfahrtsrampe nach Nietleben sind relativ steil. Danach wird der Bf Halle-Nietleben erreicht, die größte und umfassendste Bahnhofsanlage der halleschen S-Bahn. Dieser Streckenabschnitt ist eingleisig und ein Teil der alten Tresse der ehemaligen Halle-Hettstedter-Eisenbahn jedoch hinsichtlich des Oberbaus unter Berücksichtigung der jetzt gefahrenen hohen Geschwindigkeiten völlig rekonstruiert Diese Kleinbahn begann im heute abgerissenen Bf Halle-Klaustor und führte über Nietleben,Heidebahnhof, Dölau, Köllme, Schwittersdorrf, Polleben nach Gerbstedt (-Friedeburg) und Hettstedt. Der Abschnitt zwischen Klaustor und Nietleben mußte der Chemiearbeiterstadt Halle-Neustadt weichen; von Dölau bis Schochwitz besteht nur noch Güterverkehr (mit Dieselloks der BR 106), ab Schochwitz ist die alte HHE-Trasse total abgebrochen worden. Großzügig erweitert und mit modernen sicherungstechnischen Anlagen und Einrichtungen versehen wurde der Bf Halle-Nietleben. Das neue Befehlsstellwerk bildet die Leit- und Überwachungszentrale für den Betriebsablauf des westlichen S-Bahnbereichs von Dölau bis zum Streckenteil zwischen Rosengarten und Halle Hbf. Die daran anschließende neue S-Bahntrasse ist zweigleisig und führt zum unterirdischen Bahnhof Halle-Neustadt, der in seinem Charakter große „U-Bahn-Ähnlichkeit" zeigt. Am Ende eines künstlichen Einschnitts, beiderseits durch Blöcke der Wohnhochhäuser Halle-Neustadts flankiert, befindet sich — 1 km entfernt — der Hp Halle-Neustadt/Zscherbener Straße. Die Gleise der neuen Trasse führen dann auf dem Gelände der ehemaligen Passendorfer Wiesen in südlicher Richtung weiter — das eine im Bogen nach Osten dient zur Auffahrt und Einmündung in die vom Bf Angersdorf kommende zweigleisige Fernbahnstrecke (Nordhausen-Sangerhausen-Halle), das andere stellt die neue direkte Schnellbahnverbindung von Halle-Neustadt nach den Buna-Werken und nach Merseburg sowie von hier aus bis zu den Leuna-Werken dar. Der folgende Hp ist Rosengarten. Für 1974 plant man die Errichtung eines weiteren Hp Wohnstadt Süd (Wörmlitz), fast am Ende des Wörmlitzer Einschnitts hinter der Saalebrücke. Wie Halle-Neustadt und Halle-Neustadt/ Zscherbener Straße ist auch der Hp Rosengarten ein Neubau. Die S-Bahn/Fernbahn führen jetzt neben der von Erfurt-Merseburg kommenden elektrifizierten Fernbahn zum Vorfeld des halleschen Hauptbahnhofs. Hier wurde auf der Westseite neben dem Fernbahnsteig 1 ein neuer Bahnsteig für die S-Bahn errichtet, ein ehemaliges Lok-Überholungsgleis. Am Rande der Nord-Süd-Stadtautobahn entlang geht es auf einem rekonstruierten, vormals den Lokzu- und -abfahrten zum bzw. vom Bw Halle-P dienenden Gleis zum Hp Steintorbrücke. Dieser ist zweigleisig mit zwei Bahnsteigen und bildet die nächste Kreuzungsstelle der S-Bahnzüge nach dem südlichen Vorfeld des Hauptbahnhofs (Kreuzungsstellen insgesamt = Bf. Nietleben, zweigleisige Strecke in Höhe des Hp Rosengarten und Hp Steintorbrücke. Der zweigleisige Einschnitt ab Steintorbrücke hatte früher die Funktion einer Kehrschleife zum Güterbahnhof Nord und einer Industrieanschlußbahn für Betriebe im nordöstlichen Stadtgebiet. Ein nach Osten abbiegendes Gleis behielt diese Funktion, das andere wurde ebenfalls rekonstruiert und führt in einem nordwestlichen Bogen bis direkt unterhalb der Dessauer Brücke, wo es dann nach links auf den Bahnkörper der Fernbahnstrecke Halle— Aschersleben —Halberstadt gelangt. Unmittelbar neben der Brücke befindet sich in einem tiefen Einschnitt der Hp Dessauer Brücke. Das rechtsseitige Gleis ist für die Fernbahn bestimmt, so daß die S-Bahn bis Trotha auf diesem Streckenabschnitt wieder nur ein eigenes Gleis benutzt. Dann nach Norden abbiegend, liegt zwischen Galgenberg und Reilsberg der Hp Zoo. Der Reilsberg ist die Heimstätte des in aller Welt berühmten halleschen Bergzoos. Es folgt noch der Hp Wohnstadt Nord. bis schließlich der Endpunkt der S-Bahn, der Bf Halle-Trotha erreicht wird. Die Hp Steintorbrücke. Dessauer Brücke, Zoo und Wohnstadt Nord sind gleichfalls Neubauten.

Bf Heidebahnhof

Traktionsart
Die Hallenser S-Bahn ist durchgehend elektrifiziert und wird mit 15 kV/16213 Hz betrieben, ebenso die Schnellbahn-Verbindungsstrecke von Halle-Neustadt nach Merseburg (hier mußte noch der Streckenabschnitt Buna-Werke (Personenbahnhof)-Merseburg der Nebenstrecke Merseburg-Schafstädt zusätzlich elektrifiziert werden. Die Elektrifizierungsarbeiten gestalteten sich im allgemeinen insofern recht günstig und ökonomisch, weil im Bereich des Hbf Halle nur wenige Gleise neu mit Fahrleitung zu überspannen waren. Der Gesamtkomplex des Bahnhofsgeländes von Halle war bereits lange vorher fast ausnahmslos mit Fahrleitung versehen. Infolge des Gleisdreiecks am Rosengarten und der wegen des S-Bahnbetriebs elektrifizierten beiden Gleise der Fernbahn Halle-Nordhausen hat man darüber hinaus noch den Güterbahnhofsbereich des Bf Angersdorf mit Fahrleitung überspannt. Dadurch ergibt sich ein weiterer Vorteil: Güterzüge von Weißenfels bzw. Leuna nach Eisleben, Sangerhausen und Nordhausen oder umgekehrt machen nicht mehr Lokwechsel auf größeren, stark frequentierten Bahnhöfen, sondern auf dem verhältnismäßig wenig belasteten Bf Angersdorf. Der gesamte S-Bahnbereich ist mit modernen Lichtsignalen ausgerüstet.

Betriebsdurchführung
Gefahren wird mit Elloks der BR 242 sowie mit den fünfteiligen neuen Doppelstockeinheiten nur im Wendezugbetrieb. Die Lokomotiven und Wagen sind dunkel-rotbraun lackiert. In Spitzenzeiten werden noch vierachsige ältere dunkelgrüne Eilzugwagen eingesetzt, ebenfalls als Wendezüge mit zu Steuerwagen umgebauten Fahrzeugen. Die Fahrzeit für die etwa 25 km lange Strecke von Hall-Dölau bis Halle-Trotha beträgt etwa 36 Minuten, was einer Reisegeschwindigkeit von 42 km/h entspricht. In den Hauptbelastungsleiten besteht ein starrer 20-Minuten-Rhythmus. Außer dem Anfangs- und Endbahnhof sind zehn Haltepunkte und Unterwegsbahnhöfe zu bedienen, die jeweils etwa 2 km Abstand voneinander haben. Es verkehren täglich 94 Zugpaare auf der gesamten Strecke, weiterhin sieben von Halle-Nietleben bzw. Halle-Neustadt bis Halle-Trotha, zwei von Halle-Dölau bis Halle Hbf, zwei von Halle-Nietleben bis Halle Hbf und fünf von Halle-Trotha bis Halle Hbf. Ein Zugpaar — nur an Sonn- und Feiertagen — verkehrt sogar durchgehend von Halle-Dölau über Buna-Werke bis Merseburg unter Benutzung der Schnellverbindung von Halle-Neustadt nach Merseburg. Mindestens zwölf Zugpaare befahren die neue Strecke von Halle-Neustadt aus nach Buna, Merseburg und Leuna, teilweise sogar bis Großkorbetha und Weißenfels.

Bf Rosengarten


Zusammenfassung
Das „Geschwisterpaar" Halle und Halle-Neustadt hat damit nach Leipzig ein neuartiges, schnelles und attraktives Nahverkehrsmittel bekommen. Positive Auswirkungen kristallisierten sich in jüngster Vergangenheit klar heraus: Spürbare Entlastung des individuellen Straßenverkehrs und gleichermaßen der „traditionellen" Nahverkehrsträger Straßenbahn und Bus, kürzere Fahrzeiten mit entscheidender Verbesserung vor allem im Berufsverkehr sowie bequemeres Reisen bei günstigen Fahrtarifen. Der Grundpreis beträgt 0,50 M, für Kurzstrecken sind nur 0,30 M zu entrichten. Preiswert ist auch der Erwerb von Monatskarten, kombinierten Kurzstrecken-Monatskarten auch für Straßenbahn und Bus oder reinen Kurzstreckenkarten. Für die „Neustädter" bedeuten S-Bahn und Schnellverbindung nach Buna -Merseburg-Leuna eine wesentliche Erleichterung: Man gelangt sowohl schnell zum Arbeitsplatz als auch zu kulturellen und Bildungseinrichtungen der Saale-Stadt, außerdem zu Naherholungsgebieten wie Zoologischer Garten, Galgenberg und Dölauer Heide. Für die „Altstädter" hat noch nie eine so ideale Verkehrsverbindung zur Heide bestanden. Die sprunghaft angestiegene Zahl der Wochenend- und Feiertagsausflügler ist der beste Beweis dafür (...).


Falls Sie als Autor oder Fotograf (leider waren die Namen nicht mehr zu ermitteln) mit einer Veröffentlichung hier nicht einverstanden sind, schreiben Sie mir bitte kurz eine Mail, ich werde Text und Bilder sofort offline stellen.